Projekttagebuch: Ein ganz normaler Tag

Geliebtes Tagebuch, ich denke, es ist an der Zeit, dir nicht mehr nur kleine Brocken über meine kranken Projektkommilitonen mit ihren eher ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben hinzuwerfen. Um den Schrecken ganz erfassen zu können, musst du wissen wie ein typischer Tag in unserer Projektgruppe aussieht.

Um Punkt 8 Uhr des Morgens betrete ich das Projektlabor. Mein Blick fällt auf Pendlmayr, der sich gerade die Hose anzieht und mehrere Damen sowie ein Kälbchen mit einem sanften Klaps auf den Po in den Tag entlässt. Schweighofer, wenn er denn schon da ist, schnarcht leise unter oder auf einem Tisch, je nach Tagesform. Ich mache mich, fleißig wie ein Bienchen, an die Arbeit.
Einige Stunden später trifft Projektleiterin Wolf ein, wie üblich mit einer neunschwänzigen Katze bewaffnet und leichtem Schwefelgeruch umgeben. Sie prügelt Schweighofer an die Arbeit (und so weiter in die Arme des Suffs). Pendlmayr versucht seinen, mir gänzlich unverständlichen, Charme bei der bösartigen Projektleiterin wirken zu lassen, bekommt aber nur jedesmal ihre warme Handinnenfläche zu spüren. Dies bringt auch ihn dazu, grummelnd an die Arbeit zu gehen. Ich, geliebtes Tagebuch, arbeite seit Stunden.
Ungefähr jetzt trifft Dokumentkoordinatorin Kern ein, die sich schwungvoll, natürlich ohne uns eines Blickes zu würdigen, an ihren Platz setzt, ihr Schminkköfferchen auspackt und beginnt, sich die Zehennägel zu lackieren und die Beine zu wachsen. Ziemlich zeitgleich betritt auch Designerin Pichler den Raum, die uns ein geringschätzuges „Bon Jour“ hinwirft und sich an ihre Staffelei stellt. Wolf, eine glühende Feministin der ersten Stunde, lässt die beiden gewähren, während sie uns Männer aufs Übelste beschimpft weil sämtliche Termine nicht eingehalten werden. Auch ihre neunschwänzige Katze setzt sie dabei herzhaft ein.
Minuten später verlassen Wolf, Kern und Pichler den Raum, um ihre wohlverdiente Pause anzutreten, die meist bis kurz vor Mittag dauert, also genau rechtzeitig zum Mittagessen.
Während dieser Zeit sind Pendlmayr, der noch immer nicht eingesehen hat, dass man mit einer Hand in der Hose nicht optimal programmieren kann, Schweighofer und ich an den Heizkörper gekettet und sicherheitshalber auch noch an den Füßen mit Stacheldraht gefesselt, damit ´sichergestellt ist, dass wir auf keinen Fall unseren Arbeitsplatz verlassen. Das ist auch der Grund dafür, dass ich üblicherweise 24 Stunden vor Projektbeginn keine Flüssigkeit zu mir nehme; denn Toilettenpausen erlaubt die gestrenge Projektleiterin nicht. Unsere kläglichen Hilfeschreie verhallen ungehört, was wohl daran liegt, dass Wolf uns eine Orange in den Mund gestopft hat.
Mehrere Stunden bis einige Tage nach Ende der Projektstunden bindet die fiese Projektleiterin uns los und schickt uns mit Fußtritten in die kalte Nacht hinaus. Müde und gedemütigt stolpern Schweighofer, Pendlmayr und ich leise weinend in die Dunkelheit.
Ein ganz normaler Tag also.