Die Norwegen-Tagebücher (5)

Bergen, am 15. November 2010

Liebes Tagebuch,

„Die Norwegerinnen halten das, was die Schwedinnen versprechen,“ lautet ein landläufiges Sprichwort und der einzige Grund für meine strapaziöse Reise in den hohen Norden. Und es stimmt – die durchschnittliche Norwegerin ist hochgewachsener, schlanker, und graziöser als jede Mitteleuropäerin. Das lange, unglaublich blonde Haar umrahmt ein aristokratisches Gesicht aus reinster, milchweißer Haut, mit vollen Lippen und hellgrauen Augen, die tiefer sind als jeder Bergsee und mehr versprechen als Euromillionen.

Leider bringen sie mir aber nur abgrundtiefe Verachtung entgegen, aus den atemberaubenden Augen springt mir Hass entgegen, aus den vollen Lippen Saliva in parabelartiger Flugbahn.

Ich kann ihnen aber nicht böse sein, was kann ich Würstchen diesen Kriegergöttinen aus einem Volk voller harter Wikinger schon bieten? Was mir jedoch ein unerklärliches Mysterium bleibt, ist die unglaubliche Anziehungskraft, die Stephan auf die Norwegerinnen ausstrahlt.

Er wiegt mittlerweile gut 200 Kilo, ist ununterbrochen betrunken und schläft deshalb die meiste Zeit laut schnarchend in seinem kleinen Elektrorollstuhl, ohne den er sich nur unter Schmerzen bewegen kann und in dem er auch seine Notdurft verrichtet. Stephan spricht nicht, sondern grunzt nur mehr, was teilweise dem Alkoholspiegel zuzuschreiben ist, aber hauptsächlich daran liegt, dass er fast zu jedem Zeitpunkt einen fetttriefenden Chilliecheeseburger in seinen atritisverzerrten Fingern hält.

Und trotzdem zieht er die atemberaubend schönen Norwegerinnen an wie das Licht die Motten. Sie schwirren zu Dutzenden rund um das Wrack, das er seinen Körper nennt und wünschen sich nichts sehnlicher als einen Blick aus seinen rotgeäderten, halb zugeschwollenen Augen. Sie schreiben ihm ellenlange Liebesbriefe, die uns ein von der Stadtverwaltung Bergen zur Verfügung gestellter Dolmetscher vorlesen muss und in denen es hauptsächlich um unsterbliche Liebe, animalische Anziehungskraft und unbändige Leidenschaft geht. Der Neid zerfrisst sowohl mich als auch den armen Dolmetsch, der schon ganz heiser ist und wiederholt bei Lawinenabgängen am ständig wachsenden Gletscher aus Fanpost verschüttet wurde.

Ich glaube aber nicht, dass Stephan die hinreißend schönen Mädchen auf seinem Schoß überhaupt bemerkt, denn seine einzige Reaktion alle paar Minuten ist ein Grunzen und Fußtritt in meine Richtung, worauf ich mich sputen und ihm einen frischen Chilliecheeseburger und doppelten Wodka bringen muss.

7 Gedanken zu „Die Norwegen-Tagebücher (5)“

  1. omg. ich bin begeistert von deinen tagebüchern – endlich wieder mal guter stoff, wobei mir der stephan schon langsam leid tut bei deinen beschreibungen =)

  2. Die Beschreibung von Stephan ist eine bodenlose Frechheit! Du verkaufst dem geneigten Leser ein verschimmeltes Pilzgewächs als eine Rose und verharmlost so den Istzustand! Blender!

    PS: Gibts zu den Norwegerinnen auch pixs? Kann mir die nur schwer vorstellen…. 😉

  3. Ich hab ja versucht, ein paar Schnappschüsse zu bekommen, aber es heißt immer nur „No photos, no touching, no kissing. 400 Kronen for 20 minutes“ 🙁

  4. Bei deiner grenzenlosen Eloquenz, die mich Tag für Tag begeistert, muss ich diese plumpe Wortwiederholung umgehend reklamieren:
    [quote]
    Leider bringen sie mir aber nur abgrundtiefe Verachtung entgegen, aus den atemberaubenden Augen springt mir Hass entgegen
    [/quote]

    Aber ansonsten natürlich herrlich zu lesen!