Die Wohnungstagebücher (1)

Linz, am 27. August 2012,

Geliebtes Tagebuch,

lange ist’s her, seit ich das letzte Mal deine vergilbten, ausgefransten Seiten mit meiner Tinte benetzt hatte. Ich flehe dich an, bitte verzeih diese Vernachlässigung, erneut brauche ich, um dir in Stunden der höchsten Not mein Leid zu klagen.

Denn das Leben in meiner klitzekleinen Wohnung ist in den letzten Monaten vom weitgehend neutralen Limbo zu Hölle und Fegefeuer geworden. Wobei es an sich schon vermessen ist, hier überhaupt noch von Leben zu sprechen, es handelt sich schließlich um kaum mehr als die nackte Existenz.

Dass meine kargen vier Wände den kuschligen Charme einer Legebatterie ausstrahlen, war mir schon während des Einzugs vor gut zweieinhalb Jahren klar – sowas ist ja bei gut dreieinhalb Quadratmeter Wohnfläche inklusive französischem Balkon kaum zu verbergen. Das wäre an sich schon okay so, denn die Lage ist super und ich hab eh auch nicht soviel Zeugs. Im Mietvertrag stand aber nichts davon, dass meine Wohnung gleichzeitig auch als Taubenkobel an den lokalen Taubenzüchterverein verleast wird.

Deswegen darf ich mein Heim in bester WG-Manier mit Dutzenden Tauben teilen. Anfangs war die Beziehung zwischen den geflügelten Ratten und mir auch noch verhältnismäßig freundlich und weitgehend von gegenseitigem Desinteresse geprägt. Mittlerweile haben sich die bösartigen Tiere aber gegen mich verschworen und scheinen das eindeutige Zeil zu verfolgen, mich aus der gemeinsamen Wohngemeinschaft zu vertreiben zu wollen.

So hören sie ständig ohrenbetäubend laut Death-Metal-Musik, auch in der Nacht und nur um mich wach zu halten. Sie lassen absichtlich in Bad und Küche ihren ekelhaften Dreck rumliegen, der Kühlschrank ist voller schimmelnder Brotkrumen und das Waschbecken ist ständig von Federn verstopft. Und – es ist wohl besser, wenn du dich setzt, geliebtes Tagebuch – letztens habe ich am helllichten Tag zwei von den Viechern beim Kopulieren auf der Wohnzimmercouch erwischt. Wie sie bemerkt haben, dass ich sie beobachte, haben sie mich nur hämisch angegrinst, den Stinkeflügel hochgereckt und einfach weiter gemacht.

Ich bin nervlich komplett am Ende und weiß nicht mehr, was ich noch tun soll: Meine Versuche, wieder Frieden zu schließen, werden nicht angenommen. Selbst der Mediator und die Gruppentherapie, die ich selbstredend aus der eigenen Tasche bezahle, fruchten nichts. Eher im Gegenteil. Mittlerweile haben meine Mitbewohner auch ihre asozialen Alkoholiker-Freunde bei uns einziehen lassen – und sie sind mit einer einer ganzen Menge asozialer Alkoholiker befreundet. Zusätzlich haben mir die brutalsten unter den Viechern auch unmissverständlich Prügel angedroht, sollte ich „mein dreckiges Maul noch einmal aufmachen“.

Ach, mein geliebtes Tagebuch, meine Verzweiflung ist groß. Ausziehen ist aber natürlich keine akzeptable Lösung, jetzt wo ich endlich die Vorhangstangen montiert habe … Suizid vielleicht?

3 Gedanken zu „Die Wohnungstagebücher (1)“

  1. *g* Noch lebe ich – so halbwegs zumindest 😉
    Urlaubsreisenbedingt haben die Notstände in meiner Wohnung aber grade etwas von ihrer erdrückenden Grausamkeit verloren.