Liebes Tagebuch!

Es ist kaum zu glauben, aber gegen alle Erwartungen und Vorhersagen hat es der schmächtige Protokollant Kartusch geschafft, aus der Todesgrube Projekt auszubrechen. Zumindest ein bisschen. Er hat es geschafft, als Studiengangsvertreter für eben diesen unsrigen ernannt zu werden. Das ist ungefär so, als wenn ein Sträfling aus einem sowjetischen Gulag im tiefsten und kältesten Sibirien zum russischen Botschafter in Washington ernannt wird. Soviel zum guten Teil des Ganzen.
Die andere Seite der Medaille ist aber, dass ich nun mit Abstand das rangniedrigste Projektmitglied bin. Bisher war ja nur der kleine Protokollant noch unwürdiger als ich; da er jetzt aber eine gewisse Autorität inne hat, ist er in der Hackordnung aufgestiegen. Ranghöher als ich sind nun alle, sogar der Guppy des hinterhältigen Projektleiters Schweighofer und die Fliege, die versehentlich im Labor eingesperrt wurde.
Nun gut, zumindest kann ich nicht noch tiefer sinken …

Liebes Tagebuch!

Eigentlich hab ich mich ja mächtig gefreut auf die Osterferien, da diese eine Woche darstellen, die ich zubringen darf, ohne unter der Fuchtel des fiesen Projektleiters Schweighofer und seiner nicht minder gemeinen Stellvertreterin Mairhofer stehen zu müssen. Nur schaut es so aus, als ob daraus nichts wird.
Ich habe den Eindruck, dass ich verfolgt werde. Verfolgt von Spitzeln und Spionen des sadistischen Projektleiter-Diktators. Er will wohl sichergehen, dass ich meine Freizeit nur dem Projekt widme. Als ob das bei mir überhaupt notwendig wäre, mir ist so langweilig, dass ich mittlerweile nicht nur sämtliche Muss, Soll und Kann Bestimmungen umgesetzt habe, sondern mir noch selber Probleme ausgedacht und den Auftrag dementsprechend erweitert habe. So schafft es unsere Software mittlerweile, mit dem Benutzer über altenglische Literatur zu diskutieren, Schach zu spielen dass jeder Schachgroßmeister vor Neid erblassen würde und bringt mir außerdem jeden Morgen Frühstück und Zeitung ans Bett. Soviel aber nur nebenbei, liebes Tagebuch.
Wie gesagt, ich werde ständig überwacht. So habe ich heute Morgen in einer meiner blonden Locken ein Mikrofon entdeckt und hinter meinem Badezimmerspiegel, der, wie ich gar nicht wusste, von einer Seite durchsichtig ist, einen kleinen Raum mit Kamera und anderen überwachungstechnischen Geräten. Weiters steht seit Tagen dem Haus gegenüber ein Lieferwagen einer Kabelgesellschaft, und das obwohl alle Nachbarn Satellitenfernsehen empfangen. Wie auch anscheinend der Lieferwagen, weil auch er eine große Satellitenschüssel auf dem Dach hat. Seltsam, wenn du mich fragst, liebes Tagebuch.
Jedoch nicht so seltsam wie das Ereignis gestern, als ich versehentlich, nachdem ich mich auf die Fernbedienung gesetzt habe, plötzlich mein Wohnzimmer im Fernseher sah. Und mich (wie ich mit großen angsterfüllten Augen auf den Bildschirm starrte). Und aus mehreren Perspektiven. Und hochauflösend. Sehr Seltsam.

Liebes Tagebuch!

Der sadistische Projektleiter Schweighofer hat heute, auf Betreiben der nicht minder fiesen stellvertretenden Projektleiterin Mairhofer, eine neue Projektverordnung erlassen: Jedes Projektmitglied muss nun ständig Kleidung tragen, die dem Rang der entsprechenden Person innerhalb des Projektes entspricht.
Nun, liebes Tagebuch, für die leidbringenden Projektleiter hat sich nicht viel geändert. Schweighofer trägt weiterhin seinen Mantel aus dem Pelz von Babyrobben, seine Schuhe aus dem Leder von Kaulquappen und seinen Hut mit der Feder eines Dodos. Mairhofer hingegen hat sich für ein Kostüm aus dem Fell junger Dalmatiner entschieden, garniert mit hochhackigen Stiefeln die unverwechselbar die Farben und Zeichnungen des Fells eines Auerochsen zeigen.
Wir, die übrigen Projektmitglieder, bieten jedoch ein eher trauriges Bild: Projektsekretärin Wolf muss ein violettes Dirndkleid tragen, dass offensichtlich für eine etwas größere Person geschneidert wurde, und daher links und rechts um sie herum schlottert. Ganz im Gegensatz zu mir, der ich, als leitender Techniker, einen blau-weiß gestreiften Matrosenanzug, natürlich mit dazugehörigem Käppi, tragen muss, der mir leider viel zu klein ist und deswegen nur notdürftig mein stolzes Bäuchlein bedeckt.
Und doch habe ich es noch halbwegs gut getroffen: Gerade ist der arme Protokollant Kartusch, angetan mit einem rosaroten engen Balletanzug mit dazugehörigem grellpinken Tütü, an mir vorbeigeschlurft. Ich bin mir sicher, dass ich ihn leise weinen hörte.