Freitags ist ja bekanntlich mein Von-Hagenberg-Nach-Heimat-Fahr-Tag. So auch heute.
Wie üblich stand ich wieder viel zu lange in irgendwelchen Autoschlangen durch Linz, aber als funktionierendes Mitglied der Gesellschaft blieb ich ruhig und gelassen und war guter Dinge, als ich nach Puchenau den Duft der Heimat schon riechen konnte.
Fröhlich die Beatsteaks hörend fuhr ich am Bahnhof in Rottenegg vorbei, wo ein doch schon älterer Herr im Anzug offensichtlich betrunken (weil mächtig schwankend) am Straßenrand mittels ausgestrecktem Daumen eine Mitfahrgelegenheit suche. Normalerweise nehme ich gern Autostopper mit, vor allem wenn es sich um hübsche Autostopperinnen handelt, nur betrunkene alte Männer brauch ich nicht im Auto.
Fahr ich also an diesem Herrn vorbei und schau zufällig in den Rückspiegel, als ich sehe, wie eben erwähnter Gentleman mit beiden Beinen am Stand hüpft (so wie ich mir das bei Rumpelstilzchen vorstelle), mir irgendetwas nachbrüllt und beidhändig den Stinkefinger nachreckt.
In einem für mich gänzlich untypischen Reflex bremse ich und lenke zum Bahnhofsparkplatz, steige aus und gehe zu dem Herrn (der mich anscheinend schon wieder vergessen hat) und stelle ihn zur Rede (folgendes ist auf hochdeutsch übersetzt):

Ich (mit tiefer, männlicher, bedrohlicher Stimme): Wow, Chefkoch, was soll das?
Er (mit einem Fuß am Gehsteig und dem anderen auf der Bundesstraße, schwankend): Was?
Ich (höflicher als eben): Naja, was haben Sie mir da grad nachgeschrien?
Er (leicht vorwärtsgebeugt): Was?
Ich (bereuend): Na grade eben.
Er (überrascht): Ah, du warst das?
Ich (noch mehr bereuend): Ja, und des kanns ja wohl nicht sein dass …
Er (aggressiv, extrem undeutlich redend): Und wieso bist nicht stehngeblieben, du §$&%, du §$!&$, komm her da und ich §$§& ß%$ !§$%&!§ …

Nun, um es kurz zu machen, nicht lange nach diesem erfrischenden Dialog entfernte ich mich schnellen Schrittes vom Schauplatz und strebte dem Auto zu. Zum Glück war der Gentleman nicht mehr recht gut auf den Beinen, denn ich glaube er war in einer Mordsstimmung.

Eine höchst peinliche Episode für mich; nichtsdestotrotz irgendwie interessant und wert es zu erzählen.

Liebes Tagebuch!

Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod, denn die Hölle kann nicht schlimmer sein, als das, was ich in den letzten Wochen durchgemacht habe.
Auf Wunsch, soll heißen Befehl, unseres arglistigen Projektleiters Schweighofer und seiner nicht minder sadistischen Stellvertreterin Mairhofer musste ich am „Internationalen Projektmitglieder Austauschprogramm (IPAP)“ teilnehmen.
Zuerst habe ich mich darüber ja sogar mächtig gefreut darüber, weil es doch nach einer Chance aussah, den geifernden Klauen der Projektleiter zu entkommen, und sei es auch nur auf Zeit. Nun, liebes Tagebuch, da wusste ich noch nicht, dass ich drei Wochen in einer kleinen stickigen Höhle in einer zerbombten Bergfestung im Grenzland zwischen Pakistan und Afganistan zubringen muss, denn das IPAP hatte mich für das Projektteam von Osama Bin Laden vorgesehen. „Klingt gar nicht mal so uninteressant“, dachte ich mir in meiner Unwissenheit als ich von meinem Einsatzort hörte, packte frohgemut meine sieben Sachen und machte mich auf den Weg nach Kandahar County.
Nur schien das IPAP vergessen zu haben, die Taliban zu informieren, dass da in Kürze ein Austauschprojektmitglied ankommen wird. Was dazu führte, dass ich schnell an den Füßen aufgehängt über einem Loch voller Vipern und Skorpionen baumelte, ständig mit einer neunschwänzigen Katze verprügelt wurde und irgendwelche Fragen in irgendeiner Sprache entgegengebrüllt bekam, die ich natürlich nicht beantworten konnte, weil ich nichts verstand.
Glücklicherweise wurde nach kurzweiligen zwei Wochen ein amerikanischer GI neben mir aufgehängt, der ein paar Brocken indisch verstand, weil seine vierte Frau indischer Abstammung gewesen war. Ebenfalls eine glückliche Fügung war es, dass der Cousin eines Taliban in Kabul einen Brieffreund in Bombay hatte, der wiederum einen Nachbarn mit Telefon kannte, der wiederrum der Schwager eines Hobbyfunkers aus dem Kaukasus war. So wurde ich endlich verstanden und konnte meine Arbeit als Projektmitglied bei Osama Bin Laden aufnehmen.
Leider stellte sich heraus, dass Sami (wie ihn seine Freunde nannten) ganz und gar nicht der ruhige, verständnisvolle und liebenswerte Diplomat ist, als der er im Fernsehen auftritt. Ganz im Gegenteil. Sogar der gemeine Projektleiter Schweighofer wirkt umgänglich im Vergleich zu diesem aufbrausenden, kolerischen, jähzornigen Mann. Da verwundert es nicht, dass ich mich relativ oft mit glühenden Wangen in einem Fass mit dem afganischen Äquivalent zu Sauerkraut wiederfand. Auch die Bastonade habe ich mehr als einmal am eigenen Leibe erfahren dürfen. So gestaltete sich meine dritte Woche nicht weniger kurzweilig als die ersten beiden, die Zeit verging wie im Fluge.
Natürlich gibt es in Bergfestungen keinen Internetzugang. Daher hoffe ich, liebes Tagebuch, dass du mir verzeihen kannst, dass ich dir all die Zeit nichts geschrieben habe. Diesen Eintrag hier schreibe ich übrigens aus einem amerikanischen Gefangenenlager, mit meinem einen Anruf, der mir freisteht. Nun kann ich zwar nicht mehr die österreichische Botschaft verständigen, aber ich werde schon irgendwie durchkommen, liebes Tagebuch, mach dir keine Sorgen um mich, ich werde schon irgendwie … oh, ich muss aufhören, liebes Tagebuch, ich höre Transportmaschinen landen. Ich glaube, ich werde endgültig nach Guantanamo versetzt …