Wann geht man noch an seine Grenzen?

Gestern wurde ich, unschuldiges Kind vom Lande, das ich nun mal bin, Zeuge eines Ereignisses, das ich gerne in den tiefsten Tiefen meines Gehirns versteckt hätte; aber ich sehe es immer wieder vor mir, ganz so als ob des gestern gewesen wäre; nun, vielleicht werde ich ja meine Albträume los, wenn ich es mir von der Seele schreibe …

Angesprochenes Ereignis war ein „All you can eat“ in der lokalen Westernbar. Teilgenommen hat ein All-Star-Team, zusammengewürfelt aus allen sozialen Schichten und Studiengängen; insgesamt waren es elf Menschen, inklusive mir.
Von Anfang an habe ich mich vom geplanten Exzess distanziert und mir einen einfachen Burger bestellt, was mir sofort den Hass und die Abscheu der anderen eintrug. Ich bekam auch meinen (ausgesprochen leckeren, wenn auch leicht angebrannten) Burger sehr flott und aß ihn genüsslich auf, was mir neben bösartigen Blicken noch mehr Hass der anderen einbrachte. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, war es soweit!

Die nette (und eigentlich auch hübsche) Kellnerin balancierte ein Tablett von der Größe Vorarlbergs auf ihren zarten Händen; Vorarlberg war über und über bedeckt mit fetttriefenden Fleischstücken toter Tiere und genügend Pommes Frites um jedes beliebige Dritte-Welt-Land für mehrere Wochen zu versorgen. Aja, und eineinhalb armselige Salatblättchen waren auch zu sehen, wahrscheinlich aber ein Versehen des Kochs. Froh, dass ich meine Nahrungsaufnahme schon hinter mir hatte, blickte ich in die Runde, um zu sehen, ob sie sich denn auch freut ob des bevorstehenden Festmahls. Erschrocken prallte ich aber zurück, meine Begleitung war nicht mehr wieder zu erkennen.

Ich war nicht mehr umgeben von lieben und netten Menschen, um mich hockten Dämonen aus den Vorhöfen der Hölle. Aus den verzerrten Augen sprach die reine Gier. Die Hände waren zu Krallen geformt, mit denen sie die anderen anfielen und zurücktrieben von Vorarlberg. Einige hatten sogar angefangen, Fleisch in großen Fetzen aus den Armen und Oberkörpern ihrer Nachbarn zu reißen, um sie, nachdem das bluttriefende Bündel ausführlich in Barbecue Sauce getunkt wurde, unter lautem Grunzen und Schmatzen so verzehren. Den Opfern fiel es aber nicht auf, da sie gerade dabei waren, mit beiden Händen Pommes auf das Teller und in alle verfügbaren Körperöffnungen zu schaufeln. Ich selbst konnte mich nur mit großer Mühe vor der Verzehrung schützen, indem ich mich als Sellerie tarnte und ein sehr gesundes, vitaminreiches Gesicht machte. So wurde ich nicht angefallen, ich denke ich bin der einzige der am Schluss die Westernbar unverletzt verlassen hat.
Nach ca. zwei Minuten ohrenbetäubender Schmatzen und dem ständigen Krachen von berstenden Knochen hatte sich auf dem leeren Teller, auf dem sich einst mein leckerer Burger befand und den die nette Kellnerin unvorsichtigerweise vor mir hatte stehen lassen, ein Berg Knochen gebildet, der wohl jedem Elefantenfriedhof zur Ehre gereicht hätte. Und auf Vorarlberg war kein Stückchen Fleisch mehr zu finden, nur mehr in Fett schwimmende Pommes Frites waren zu sehen. Und natürlich die eineinhalb Blättchen Salat, die nicht angerührt wurden. Und selbstverständlich wurde fleißig totes Tier nachbestellt.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt verstand ich, warum es „All you can eat“ und nicht „All you want to eat“ heißt – niemand hört einfach zu essen auf nur weil er/sie satt ist. Da gehts um Prinzip. Die Angst vor Hölle und Fegefeuer hatte ich übrigens schon verloren, als Artur und Flo sich wie zwei tollwütige Hunde um ein Stückchen panierte Hühnerschenkel prügelten, dabei einen Tisch und mehrere Stühle unschuldiger Passanten umwarfen und die hübsche Kellnerin in den Schenkel bissen.

Und trotzdem, auch wenn ich es zuerst nicht glauben wollte, irgendwann erschienen die ersten Strahlen am Horizont: Irgendwann gab es keine Knöpfe an den Hosen mehr, die man noch hätte aufknöpfen können. Irgendwann gab es keine leere Körperöffnung mehr. Und irgendwann machte das Schmatzen und Schlürfen einem befriedigtem Schnaufen mit einigen vereinzelten Bäuerchen Platz. Es war geschafft. Viele Tiere mussten ihr Leben und ihre besten Körperteile bei dieser Schlacht lassen, aber es war geschafft. Ich kroch unter dem Tisch hervor, unter dem ich mich schon seit geraumer Zeit verschanzt hatte (aus Angst vor umherfliegenden Knochensplittern und Fettspritzern), bestellte mir noch ein Bier und war sehr zufrieden mit der Vorstellung, dass ich heute Nacht als einziger kein Bauchweh haben werde.

Ein Gedanke zu „Wann geht man noch an seine Grenzen?“

  1. # Sellerie? Wos sogt a da Rasta? – Shaka, shaka, bumm, … # um es mit den Worten von „keine Ahnung wie die Truppe, die ‚Der Berg ruft‘ gesungen hat, heisst“ zu sagen.

    Gelungener Eintrag! Nett zu lesen du kleine Sellerie du *brumm* 😉

    mfg commenting bastard