Langeweile

Bimberg, am 13 Februar 2006

Geliebtes Tagebuch,

Nun ist mein letzter Praktikumstag schon sieben Tage her und ich vermisse die harte Disziplin, die Prügel und die Verachtung, mir der mir meine Kollegen immer begegnet sind. Ich fürchte ich habe mir eine Art Stockholm Syndrom eingehandelt.

Jedenfalls kommt mein kleiner Geist mit dem plötzlichen Fehlen von Ordnung und Struktur im Leben nicht zurecht. Die Langeweile zerfrisst mich von innen heraus. Krampfhaft versuche ich mich zu beschäftigen und die Zeit totzuschlagen. Tagelang hab ich mein Hirn zermartert, um eine Beschäftigung zu finden. Erst als ich schon fast aufgeben wollte, sind mir jene guten Leute eingefallen, die offensichtlich noch viel mehr Zeit haben als ich und die sich sicher gerne mit mir abgeben.

So machte ich mich prompt nach Rottenegg auf, der lokalen Hochburg der Zeugen Jehovas. Mit einem dicken Spiderman Comic unter dem Arm schlenderte ich durch die malerische Siedlung und läutete mal hier, mal da und unterhielt mich aufs Köstlichste mit den guten Leuten. Ich hatte stets den Eindruck, dass auch sie viel zuviel Zeit hatten und mir unbedingt ihre Geschichten erzählen wollten und so hörte ich ihnen freundlich zu, Stunde um Stunde, nickte stets lächelnd und war rundum glücklich, dass ich endlich jemanden gefunden hatte, der Zeit mit mir verbringt. Ab und an erzählte auch ich einen dreckigen Witz oder ein schmutziges Geschichtchen. Die einzige Wolke auf diesem meinem Himmel der Glückseligkeit war nur das sinn- und zusammenhangslose Gefasel meiner neuen Freunde, das, wenn mir nicht ohnehin schon so unglaublich langweilig gewesen wäre, sehr sehr sehr fade klang.

Doch mit den vielen Stunden die ich in diesem herzallerliebsten Örtchen zubrachte, schienen die guten Leutchen ihr Interesse an mir zu verlieren. Unter Vorwänden wimmelten sie mich ab, und warnten, so fürchte ich, gar ihre Nachbarn vor mir, denn schon bald öffnete niemand mehr auf mein bestimmtes Läuten, und das obwohl ich Licht sah und Menschen hinter Vorhängen hervorspähten. Traurig wandte ich mich ab und machte mich auf den Heimweg in mein kaltes, stilles, menschenleeres Heim. Aber zumindest ein paar Stunden lang konnte ich erleben, was es heißt, unter Menschen zu sein.

2 Gedanken zu „Langeweile“

  1. Artikel ist genial, mindestens auf Thomas Bernhard Niveau!Einen Zeugen Jehovas zu bekehren ist irgendwie so, als wenn ein Mensch einen Rottweiler beisst …