Buchreview: 3096 Tage von Natascha Kampusch

Ich bin fasziniert von Natascha Kampusch – das ist sicher kein Geheimnis. Umso schwerwiegender, dass ich so lange gebraucht habe, um mir endlich ihre Autobiografie zu Gemüte zu führen.

Eigentlich habe ich sie nicht geführt, sondern verschlungen. Sie ist nämlich wirklich nicht schlecht, ziemlich kurz und überschaubar, wie es sich für einen geplanten Bestseller für die breiten Massen ziemt. Dass es mit dem Verkaufsschlager leider nix geworden ist, ähnlich wie bei ihrer Talksendung, ist allgemein bekannt. Ob wir damit Natascha Kampuschs letzten Versuch erlebt haben, in der Öffentlichkeit Fuß zu fassen, wage ich aber zu bezweifeln (und zu hoffen). Es gefällt ihr halt, eine öffentliche Figur zu sein, das merkt man auch beim Lesen ihres Buches.

Die folgenden Absätze sind übrigens etwas konfus und ohne roten Faden, weil ich einfach ein paar meiner interessanteren Notizen (jaja, ich mach sowas) ausformuliert habe. Damit auch faule Wenigleserinnen von den nennenswerten Bruchstücken erfahren.

Die Sprache des Buchs ist einfach (vermutlich diversen Co-Autoren und Lektoren zu verdanken) und nicht ganz so holprig wie man nach ihren ersten Interviews vermuten könnte. Aufgefallen ist mir gleich, dass sie, von wenigen Ausrutschern zum Ende hin abgesehen – die beim Korrekturlesen wohl untergegangen sind – immer vom „Täter“ schreibt, statt von „Wolfgang“ oder „Wolfgang Priklopil“.

Besonders gespannt war ich (natürlich) darauf, wie Natascha Kampusch den sexuellen Teil ihrer Gefangenschaft umschreibt – dass diesbezüglich keine klaren Aussagen zu erwarten waren, wusste ich schon vorher aus der Presse, aber man liest ja so gerne zwischen den Zeilen. Und tatsächlich, sie streift das Thema zwar nur am Rande, schließt Sex aber nicht explizit aus. Und das würde sie, wenn sie es könnte. Das reicht mir als Beweis für eine sexuelle Beziehung. umso mehr, da sie vom Täter regelmäßig dazu gezwungen wurde, bei ihm im Bett zu schlafen. Dass es aber zu richtiggehenden, „klassischen“ Vergewaltigungen kam, wage auch ich nicht zu behaupten.

Apropos: Auffällig schien mir während des Lesens, dass Natascha Kampusch recht oft ihre Situation mit dem Fall Marc Dutroux verglich. Zwar nicht im Hinblick auf Kinderpornografie, aber doch im Bezug auf Entführungen und Misshandlungen kleiner Mädchen. Das schien mir, bauchgefühlt, bemerkenswert; Tut es auch jetzt noch, ich kann nur nicht mit dem Finger auf den Grund für diese Auffälligkeit zeigen.

Bemerkenswert, diesmal aber sicher in positiver Hinsicht, ist auch, dass Natascha Kampusch extra darauf eingeht, dass sie während ihrer Gefangenschaft sehr viel Science Fiction gelesen und geschaut (von Perry Rhodan bis Stargate) hat. Und sich auch selbst als Sci-Fi Autor versucht hat – ich würde sehr gerne eine ihrer Geschichten lesen.

Schade finde ich, dass zwar die ersten Tage in Gefangenschaft sehr detailliert beschrieben, der Alltag der folgenden achteinhalb Jahre dann aber vergleichsweise wenig berührt wird. Mich hätte vor allem das spätere Verhältnis von Täter und Opfer interessiert. Einziger Hinweis auf eine geänderte Beziehung, zusammen mit den Ausflügen im achten Jahr, war bloß, dass Natascha Kampusch schreibt, sie hätte sich mehr gewehrt und manchmal sogar zurück geschlagen. Und dass Wolfgang Priklopil immer brutaler und unberechenbarer wurde.

Die Unmenge an physischen Misshandlungen, die Natascha Kampusch ertragen musste, habe ich vor der Lektüre übrigens in dem Ausmaß nicht erwartet. Und auch nicht, was für ein extremer Psychopath Wolfgang Priklopil tatsächlich war. Interessant ist auch, wie sie ihre, Zitat, „Überlebensstrategie“ beschreibt: Um nicht „zu zerbrechen“ ging sie dazu über, dem Täter alles und ständig „zu verzeihen“.

Ein Detail ihres Verlieses macht ihre Geschichte besonders realistisch für mich: Sie schreibt davon, dass ihr Gefängnis Tag und Nacht von einem kleinen Ventilator belüftet wurde. Von einem kleinen, surrenden, ratternden, sirrenden, pfeifenden Ventilator. 24 Stunden, 8 Jahre lang, neben ihrem Bett. Keine Stille, niemals. Diese Vorstellung beeindruckt mich vermutlich am meisten.

Das Buch endet mit einer Beschreibung der ersten Zeit nach der Gefangenschaft. Davon, dass Natascha Kampusch nicht ständig als „Opfer mit Stockholm-Syndrom“ gesehen werden will. Dass sich die Österreicher endlich damit abfinden sollen, dass sie nicht nur die schlechten Seiten an Wolfgang Priklopil sehen will, weil nicht alles nur einfach schwarz und weiß ist. Und von den teils seltsamen, teils perversen Zuschriften, den vielen Liebesbriefen und den Heiratsanträgen. Sie ist halt wirklich eine sehr interessante Person. Und ihre Autobiografie sicher nicht so schlecht, wie sie hätte sein können. Aber leider auch nicht so ausführlich, es gibt also, denke ich, durchaus Material für einen zweiten Teil.

9 Gedanken zu „Buchreview: 3096 Tage von Natascha Kampusch“

  1. Ich habs geahnt aber verdrängt – du bist ein in-die-Bücher-Kritzler.

    Danke für die kurzen Einblicke – ich schließ mich Pendi an: so brauch ich’s nicht lesen 🙂
    (und Freude dass du das Buch endlich in die Finger gekriegt hast – doch noch als E-book oder von fragwürdigen Bekannten geborgt?)