Geschäftsidee: Retro-Internet-Porn

Das freundliche Feedback zu meinem letzten Beitrag über Pornografie hat mich motiviert, eine schon lange in mir schwelende Geschäftsidee zu teilen ((Ich bin halt faul: Sachen ausdenken ist leicht, Sachen umsetzen ungleich schwieriger.)):

Retro-Internet-Porno.

Wenn der geneigte Leser wie ich jenseits der 25 Winter ist, dann kann er sich vermutlich noch gut an das Internet erinnern, wie es früher einmal war, als noch in Baud gerechnet wurde. Genau, das mit den kreischenden Modems, den framebasierten Webseiten „optimiert für Internet Explorer 4.0“, Marquees und animierten GIFs ((Wobei, die sind ja mittlerweile wieder voll zurück, vielleicht kommt also auch der IE4 wieder?)).

Damals war es zum Teil auch noch richtig schwierig, (kostenlose) Nackerpatzln im Internet zu finden. Ganz im Gegensatz zu heute, wo man sich schon bemühen muss, will man absichtlich über keine solchen stolpern. Ohne Kreditkarte blieb man da meist an irgendwelchen Paywalls in visuell verlockender Aufbereitung hängen.

Überhaupt gab es in jener grauen Vorzeit Internet-Porno fast nur in Form von Bildchen. Denn so was wie Video übers Internet, geschweige denn Streaming gab es damals nicht. Und selbst diese schlecht aufgelösten Bilder (800 x 600 Pixel waren schon das höchste der Gefühle) luden meist so langsam, dass man höllisch aufpassen musste, um wegen all der Wartezeit zwischendurch nicht die Lust zu verlieren.

Zeile für Zeile bauten sich die Objekte der Lust auf. Zuerst die – im Nachhinein betrachtet – scheußlichen Frisuren gefolgt von Gesicht, Hals und dem ersten heiß ersehnten Highlight. Dann hieß es nur mehr Daumen drücken, dass die Dame da am Bildschirm nicht doch ein Höschen anhatte. Etwa 45 Sekunden später wusste man aber auch darüber Bescheid.

Hach, das waren noch Zeiten. Damals musste man sich noch anstrengen für Porno. Da war die Sache noch richtig etwas wert, was Besonders sozusagen.

Und das könnte ein findiger Geschäftsmann unter meinen geneigten Lesern doch wieder zurück bringen. Eine Website für und mit Retro-Internet-Porno, alles inklusive:

  • Links mit „Ja, ich bin ganz ursicher über 18“, um Jugendliche 100 % zuverlässig von diesen ungeeigneten Inhalten fernzuhalten
  • Hellrosa Hintergrund, violette Schrift
  • Frames
  • Anzügliche animierte GIFs
  • Ausschließlich Bilder (keine Videos!) von übertrieben behaarten Damen mit scheußlichen Frisuren und Bikinis
  • Bilder laden zeilenweise, und benötigen dazu mindestens 30 Sekunden. Der Ladevorgang bricht aber aus unerfindlichen Gründen hin und wieder auch einfach ab
  • Schockierende Spaß-Links für Nicht-Eingeweihte

Ich begnüge mich als Ideengeber übrigens mit lächerlichen 10 Prozent an den zu erwartenden millionenschweren Einnahmen. Also, los gehts, es sind noch viele passende Domains frei.

Zur Porno-Abmahnung

Eigentlich hatte ich zur Redtube-Abmahnwelle nichts zu sagen, denn die Medien haben bereits zur Genüge über die Causa berichtet: Über die Abmahnungen, deren juristische Unhaltbarkeit, die vermutlich illegal beschafften IP-Adressen und den möglicherweise sogar großangelegten Betrug.

Nun hab ich aber heute die aktuelle Folge von Christoph Süß‘ quer gesehen, die ebenfalls einen Beitrag zum Thema und dessen mögliche krassen Auswirkungen für alle Internetbenutzer brachte.

Und dabei wurde auch der Anwalt Urmann gezeigt, der für die höchstwahrscheinlich illegale Abzocke verantwortlich zeichnet. Und dessen überhebliches, schleimiges Grinsen hat mich hiermit nun doch an die Tastatur getrieben, denn er „ist nur der Anwalt“ und „dieser Testballon“ ist ja nur hier „um Geld zu verdienen“ ((Alles etwa ab der 2. Minute im oben verlinkten Beitrag zu sehen)).

Warum dergestaltige Abmahnwellen überhaupt ein solch gewinnbringendes Unterfangen ist, hat Christoph Süß schon gut dargelegt: Weil man sich schämt, beim Porno-Schauen erwischt zu werden. Und wer will schon mit der Familie unterm Weihnachtsbaum direkt im Anschluss an die Bescherung darüber diskutieren, woher diese seltsame zweite Mahnung wegen einer Pornografie-Urheberrechtsverletzung kommt? Dann doch lieber gleich schnell bezahlen, ohne lange zu hinterfragen oder die Rechtmäßigkeit der Abmahnung zu prüfen.

Die Sache ist also nicht deswegen so lohnend, weil der Abgemahnte der Meinung ist, eine gerechtfertigte Strafe für einen Bruch des Urheberrechts zu zahlen. Sondern bloß deswegen, weil er ((Oder sie, denn auch Frauen schauen Pornos.)) gerne so schnell wie irgend möglich die Sache verschwinden sehen möchte.

Und überhaupt, es schauen doch sowieso nur die anderen *hüstel*. Die sind also selber schuld *hüstelhüstel*. Sagt man zumindest vor der Kamera. Zugeben tut man sowas nur, wenn man vorher ausführlich ausgepixelt wird.

Dann doch lieber gleich die Karten auf den Tisch legen. Und zugeben, dass man hin und wieder Porno schaut. Davon geht ja sowieso jeder aus. Dazu stehen, wie ein Mann. Es macht ja nun wirklich jeder. Ich auch ((Hoffentlich hat sich der geneigte Leser jetzt nicht verletzt, wie er eben angesichts dieser unerwarteten Beichte vor Schock und Überraschung vom Stuhl gekippt ist?)).

Nur wegen falscher, aufgesetzter, biedermeierlicher Moral funktioniert das Geschäftsmodell dieser aalglatten, heuchlerischen, gierigen, charakterlosen Anwälte überhaupt.

Wie würde die Sache laufen, wenn man mit offenen Karten spielen würde? Problemlos, nämlich etwa so:

Sie (öffnet ihre Post): What the fuck.
Er (liest Zeitung am iPad): Hmm?
Sie: Shit, da ist eine Abmahnung in der Post. 250 Euro. Weil ich angeblich illegal einen Porno geschaut hab.
Er: Hmm.
Sie: Das ist ja Bullshit.
Er: Was hast du denn geschaut?
Sie: Horny Lesbian Asian Teachers 2, POV Edition. War gar nicht schlecht, eigentlich. Halt nicht 250 Euro wert.
Er: Yeah, den kenn ich auch. Der ist wirklich gut.
Sie: Trotzdem doof, was soll ich jetzt tun?
Er: Bleib cool. Das ist nur eine der üblichen Abzock-Wellen, die sowieso fast immer illegal und bloß auf das schnelle Geld aus sind. Einfach mal abwarten, auf keinen Fall zahlen … mir kommt aber grad eine gute Idee – magst du dir mit mir HLAT 3 anschauen. Der soll sogar noch besser als der 2er sein.
Sie (zerknüllt die Abmahnung, grinst): Geil. I’m in.

In case of death, open envelope

Ich bin ja nun schon lange nicht mehr der Jüngste. Mein Ableben ist dementsprechend nur mehr eine Frage der Zeit; Gevatter Tod, soweit ich das am rapide zunehmenden Verfall meines Körpers ((Im Übrigen auch am nicht minder zunehmenden Verfall meiner gleichaltrigen Freunde)) feststellen kann, macht sich schon einsatzbereit.

Deswegen mache ich mir schon auch Gedanken, was nach meinem Tod so ist. Also nicht mit mir, sondern mit jenen armen Menschen, die jenen Sauhaufen aufräumen müssen, den mein Leben darstellt.

Ein klassisches Testament ist bei mir aber unnütz, weil es mir ganz einfach egal ist, was nach meinem Verschwinden mit meinem Geld ((Mit den Viereurofuffzig sind eh keine großen Sprünge drin.)) passiert. Oder ob/wie/wann ich begraben werde. Verbrennt mich, wenn ihr wollt, oder scharrt mich ein und besucht mich jedes Allerheiligen. Mir ist alles recht, ich bin ja dann tot und meinungslos.

Kuvert

Trotzdem will ich es den Menschen nach mir nicht extra schwer machen. Deswegen habe ich nun – endlich – ein versiegeltes Kuvert zusammengestellt ((Und den festen Vorsatz gefasst, dieses Kuvert einmal im Jahr zu aktualisieren.)) und bei einer vertrauenswürdigen Person hinterlegt.

In diesem Kuvert sind zwei Zettel, auf denen alles über mein Leben aufgeführt ist, das nur ich weiß – und deren frühes Wissen das Zusammenräumen nach meinem Tod massiv vereinfacht:

  • Alle relevanten (Internet-)Zugangsdaten. Dazu zählen natürlich vor allem E-Banking und E-Mail, aber auch so Sachen wie Facebook, Backup-Archive, etc. Bei mir ist das zum Glück sehr einfach, weil ich alle solche Zugangsdaten in einem zentralen Passwort-Safe hinterlegt habe. Das macht es unnötig, den Inhalt des Kuverts alle paar Monate zu aktualisieren.
  • Alle Plätze, an denen mein Geld verteilt ist (Kontos, Aktiendepots, Sparbücher, Bausparer, etc.).
  • Alle Versicherungen, die auf mich laufen (Lebensversicherung, etc.).

Nun mag der geneigte Leser einwenden, dass das alles Informationen sind, die im Todesfall für die Hinterbliebenen sowieso zu bekommen sind. Stimmt, aber bis eine Bank merkt, dass ein Sparbuchinhaber tot ist und reagiert, können schon mal Jahre vergehen. Und ich stelle es mir auch nicht sehr lustig vor, die Kopie meines Totenscheins an Google, Facebook, Twitter, Microsoft und Dutzende kleinerer Unternehmen schicken zu müssen, nur damit mein Account freigegeben wird.

Deswegen ist dieses Kuvert nur als Hilfe für jene, denen ich mit meinem Tod Arbeit mache, gedacht. Kein Testament, keine letzten Worte, keine Liste letzter Anweisungen. Nur ein „Yo, sorry, dass ich  Arbeit mache, hoffentlich machts das da ein bisschen einfacher.“

Notiz an mich selbst: Checkliste für den perfekten Mord

  1. Keine Panik, du kriegst das hin. Wenn dir das Fernsehen etwas gelehrt hat, dann dass der durchschnittliche Polizist faul und der durchschnittliche Kommissar des Morddezernats unglücklich geschieden, schwer von Begriff sowie starker Alkoholiker ist. Diese traurigen Figuren kriegen dich nie.
  2. Du brauchst Handschuhe, ganz klar. Vielleicht kannst du dir gleich so coole Jason-Statham-Transporter-Handschuhe besorgen?
  3. Plane den Mord nicht direkt nach einem Friseurbesuch. Du verlierst auch so schon genug Haare und DNA-Spuren sind verdammt kritisch. Überlege, ob nicht ein Haarnetz angebracht wäre.
  4. Achte bereits im Vorfeld auf ein gutes Alibi, idealerweise bestätigt von mehreren Zeugen. Eine gute Möglichkeit wäre ein Ausgeh-Abend mit deinen Freunden, die saufen immer so viel, denen fällt gar nicht auf, wenn du mal für eine Stunde nicht da bist.
  5. Entsorge deine Mordwaffe nicht direkt im Papierkorb neben der Leiche. Nimm auch nicht den erstbesten Fluss, nur weil die Brücke bequemerweise gleich in der Nähe ist. Bringe mindestens 25 Kilometer zwischen Tatort und verstecke die Waffe dann richtig gut.
  6. Lass Handy, Ausweise, Portmonnaie deines Opfers nicht liegen, sondern nimm sie mit und entsorge sie genau so gut wie die Mordwaffe. Das verlangsamt anfangs die Identifikation, könnte sogar das Motiv verschleiern. Und das Bargeld ist ein netter Bonus, sozusagen die Entschädigung für die nun verbrauchte Mordwaffe.
  7. Überwachungskameras werden immer gefährlicher. Vermumme dich gut, trage Kleidung, die du sonst nie an hättest, lass dir einen Bart wachsen und nimm für den Tag des Mordes 20 – 30 Kilo zu. So erkennen sie dich nie, solltest du von einer Kamera erwischt werden.
  8. Komm gar nicht auf die Idee, dein bewegungsunfähiges Opfer noch mit deinem genialen Plan beeindrucken zu wollen. Dein Plan ist zwar zweifellos brillant und sollte weiter erzählt werden, aber komm lieber gleich zur Sache.
  9. Hab keine Angst vor diesen legendären Profilern, von denen man im Fernsehen so viel sieht. Du verstehst dich ja die meiste Zeit selbst nicht, wie soll das dann ein Psychologe schaffen?
  10. Solltest du wider Erwarten doch erwischt werden, bleib cool und bei deiner Story, es sind schon dümmere, offensichtlichere Mörder davon gekommen.
  11. Erwähne deine Pläne weder in deiner Autobiografie noch in deinem Blog.

3653 Tage

Vor genau 10 Jahren, am 19. November 2003, saß ich in meinem kleinen Zimmerchen im Studentenheim in Hagenberg und habe meinen allerersten Blogeintrag getippt. Ich hatte damals gerade von dieser nigelnagelneuen Sache namens „Weblog“ gehört und fand die Idee ganz lustig. Wenn ich mich recht erinnere, lief das damals über Blogger.com ((Das, der geneigte Leser stelle sich das nur vor, damals noch nicht Google gehörte.)).

Heute, 3653 Tage später, finde ich die Idee noch immer ganz lustig.

Auch wenn, das ist offensichtlich und lässt sich leider nicht leugnen, meine Motivation zu Schreiben stark schwankt. An Ideen fehlt es zum Glück aber kaum, das dazugehörige Evernote-Notebook wächst ständig zu allen möglichen und unmöglichen Tageszeiten ((Zum Glück gibt es mittlerweile das allgegenwärtige Smartphone, das meinen alten, unhandlichen Schmierzettel perfekt ersetzt.)). Besonders produktiv sind diesbezüglich übrigens Alkohol-induzierte Rauschzustände, allerdings tue ich mir am Tag danach dann oft schwer, die notierten Stichworte und die damit verbundenen Gedankengänge zu verstehen.

Trotz der oft fehlender Motivation und zahlloser Wechsel des Blogging-Tools sind über die Jahre 956 Einträge zusammen gekommen. Insgesamt waren es sogar noch etwa 10 bis 20 mehr, die aber aufgrund von Beschwerden oder Drohungen gelöscht werden mussten. Zum Teil leider – das bereue ich sehr – ohne Backups. Auch einige unbezahlbare Bild- und Tondokumente sind in den Jahren aufgrund fehlender Backups verloren gegangen, immerhin gibt es aber noch den getippten Text, der dort dazu gehörte.

Zu diesen 956 Einträgen kommen noch 4.208 Kommentare geneigter Leser, zwei sehr geile Lesungen (2005 und 2010) und eine Reihe von interessanten Personen, die ich ohne mein Blog nie kennen gelernt hätte.

Nun muss ich nur noch den Kloß im Hals hinunterschlucken, die Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln wischen und den höchst geneigten Lesern danken. Manche halten mir seit einem Jahrzehnt die Treue, manche sind erst später dazu gestoßen. Viele kenne ich aus dem wirklichen Leben, manche nur von ihren Kommentaren. Jedenfalls:

Thanks

Der Herdentrieb bei Einkaufswagenschlangen

In der spannenden Reihe „Psychologie im Supermarkt“ brennt mir noch immer etwas auf der Seele, das aus mir herausgeschrieben sein will: Der menschliche Herdentrieb an den Schlangen, an denen man Einkaufswagen abholt und -stellt.

Genau, die Rede ist von jenem Ort, wo immer zahllose Menschen an allen möglichen und unmöglichen Stellen am eigenen Körper nach Kleingeld suchen. Aber darum soll es diesmal nicht gehen.

Ist dem geneigten Leser schon einmal aufgefallen, wie seltsam diese Einkaufswagenschlangen aufgebaut sind?

Die sind nämlich nie – wie man naiverweise annehmen möchte – gleichmäßig lang. Umso länger sie sich selbst überlassen werden, desto absurder werden dann gewisse Auswüchse und Einbuchtungen aus zusammenhängenden Einkaufswagen ((Ich habe übrigens extra im Duden nachgeschlagen, auf Österreichisch könnte man auch „Einkaufswägen“ schreiben.)).

Grad bei engeren Ortsverhältnissen (zB Merkur Mozartstraße) kann das dann tatsächlich in einer zeitweisen Blockade des Menschenflusses enden, vor allem in der tragischen Kombination mit Einkäufern älterer, langsamerer Semester. So weit ich weiß kam es aber zumindest beim Merkur Mozartstraße noch zu keiner dergestalt entstandenen Massenpanik. Dem Herrgott sei’s gedankt.

Wenn man das menschliche Verhalten an diesen Einkaufswagenschlangen nun etwas beobachtet, kommt man schnell auf die Ursache dieser scheinbar unerklärlichen Ausbuchtungen: Denn es scheint so, dass das Herdentier Mensch den Einkaufswagen meist just an jener Schlange wieder abstellt, die sowieso schon am längsten ist. Statt, wie es die Vernunft diktieren würde, an der kürzesten. Vermutlich in der Annahme, dass sich das so gehört?

Fast noch seltsamer ist aber, dass sogar das Gegenteil beobachtet werden kann: Einkaufswagen werden nicht der längsten Schlange entnommen, sondern oft der kürzesten. Ganz so, als ob sich die Person denken würde: „Do schau her, do san am wenigstn Wagerl, des miassn do onscheinend die bestn Wagerl sa, do nimm i mia a glei oans. Ned dass i a schlechteres Wagerl kriag ois die ondern.“

Es wäre spannend zu erfahren, ob das ein eher österreichisches Phänomen ist, oder ob es auch anderweitig zu beobachten ist. Ich bitte um sachdienliche Hinweise.

Die Programmierer-Tagebücher (2)

Linz, am 4. November 2013

Geliebtes Tagebuch,

ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich mir in den letzten Jahren händeringend gewünscht habe, dass ich als rebellischer Jugendlicher dem Wunsche meiner Mutter gefolgt wäre und nicht studiert hätte.

Dann wäre ich jetzt nämlich Fernfahrer in Osteuropa. Oder zweiter Assistent eines stellvertretenden Hochofenreinigers. Oder Schweinehirt. Oder im Marketing. Egal was – alles wäre besser als meine jetzige Existenz als Software Engineer.

Unser Teamleiter hat diese Woche unsere neue Entwicklungsumgebung freigegeben: Wir dürfen jetzt endlich in Visual Basic 5 programmieren, da dies mittlerweile den für uns wünschenswerten Grad an Reife und Stabilität erreicht hat.

Dieses Upgrade hat auch einen angenehmen Nebeneffekt, da wir gleichzeitig aus Gründen der Kompatibilität auf Windows 95 umsteigen mussten. Dies geht unserem Teamleiter zwar sehr gegen den Strich, denn er wettert und schimpft schon seit Monaten über die übertrieben moderne, unausgegorene Benutzeroberfläche und die krasse Unnötigkeit von 32 Bit. Vor allem dieses „Startmenü“ ist das besondere Ziel seines Spotts. Aber auch er kann sich den ändernden Zeiten nicht verschließen.

Wir sind aber grundsätzlich schon sehr froh, dass unser Teamleiter ab und an bemüht ist, die technischen Zeichen der Zeit zu erkennen und frühzeitig zu reagieren.

So kam er gestern ganz aufgekratzt und einige Minuten verspätet in unsere Teamkonferenz. Du erinnerst dich, mein geduldiges Tagebuch, das wir einem eher weniger agilen Entwicklungsmodell folgen und deswegen täglich dem Teamleiter mehrere Stunden lang unseren jeweiligen Fortschritt berichten müssen?

Jedenfalls, ganz außer Atem zeigte er uns mit Hilfe des Overheadprojektors ein neues, heißes Ding, das er gerade entdeckt hatte: Ein globales Netzwerk, über das man Daten und Informationen austauschen kann. Mit leuchtenden Augen malte er uns die unbegrenzten Möglichkeit dieser „Datenautobahn“ aus.

Auch wenn wir noch einige Jahre warten müssen, bis diese hochmoderne, cutting-edge Technologie die für uns nötige Reliabilität und Verlässlichkeit haben wird, ist es schon jetzt gut zu wissen, was die Zukunft für uns bereithalten wird.

Ich verbleibe auf ewiglich Dein,
~ saxx

Die Programmierer-Tagebücher (1)

Linz, am 29. Oktober 2013

Geliebtes Tagebuch,

sicher hast du dich schon gewundert, warum ich dir schon so lange nichts mehr erzählt habe. Bitte hab aber Verständnis für diese Vernachlässigung, denn das liegt nur daran, dass mein Beruf auch noch mein letztes Stückchen Kraft aufbraucht.

Ach, in welch schönen Farben wurde mir das Berufsleben noch während des Studiums ausgemalt – Erfüllung im Job und Abwechslung wurde versprochen, Geld, Autos und Frauen. Und ich bin darauf herein gefallen.

Weißt du, geliebtes Tagebuch, Ich verbringe meine Tage damit, Software zu schreiben; und meine Nächte meistens auf meinem tränenbenetzten Polster vor Erschöpfung eindösend. Tagein, tagaus muss ich mit 24 anderen Programmierern meist bangladeschischer Herkunft den Schreibtisch teilen. Immerhin hat mittlerweile jeder von uns eine eigene Tastatur und eine eigene Maus, seit uns eine Hauptschule aus Mitleid ihre alte IT-Ausrüstung geschenkt hat.

Sollten wir den nächsten Release rechtzeitig fertig bekommen, hat uns der Teamleiter aber sogar einen funktionierenden Heizkörper versprochen. Unangenehm nur, dass dieser Release erst für den nächsten Sommer geplant ist. Sommer 2019.

Unser Teamleiter ist nämlich vom alten Schlag. Wortmeldungen, die auch nur entfernt in die Richtung „agile Entwicklung“ gehen, belohnt er entweder mit dem bösen Blick oder einer Ohrfeige. Den Kollegen, der einmal „Scrum“ erwähnt hat, haben wir seit dem nicht wieder gesehen. Überhaupt ist unser Teamleiter sogar Meinung, dass auch „Wasserfall“ noch zu wild, unplanbar, überstürzt und ad-hoc ist. Wir verfolgen daher ein Entwicklungsmodell namens „breites, ruhiges Stromdelta“.

Soweit ich das nach gut sechs Jahren im Unternehmen sagen kann, wird unser nächster Release deswegen auch unser erster sein. Der Teamleiter ist aber offenbar guter Hoffnung, dass wir den angepeilten, durchaus ambitionierten Termin tatsächlich halten können.

Denn schließlich haben sich die Kunden-Anforderungen, deren erste Version aus dem Jahr 1992 stammt, nun schon seit mehreren Jahre nicht mehr geändert. Überhaupt haben wir schon seit einiger Zeit nichts mehr von unserem Auftraggeber gehört. Der Teamleiter deutet dies als gutes Zeichen und Lob für seinen rabiaten Führungsstil, ich vermute aber eine Insolvenz, die man uns bloß mitzuteilen vergessen hat.

Ich verbleibe, mein geliebtes Tagebuch, und bedecke dich mit heißen Küssen,
~ saxx

Survivorship Bias

Vor einigen Monaten wurde ich auf ein „Konzept“ aufmerksam, dass ich recht spannend finde, und das sich sogar im Alltagsgebrauch als durchaus nützlich erweist: Dem Survivorship Bias.

Hierbei handelt es sich um jene Tendenz, sich bei der Bewertung einer Situation immer auf die „Überlebenden“ zu konzentrieren und alles andere zu übersehen beziehungsweise nicht zu berücksichtigen – um in Folge unbewusst die falschen Schlüsse zu ziehen. Hierbei kann es sich um Menschen handeln, aber auch um Unternehmen, Ideen, was auch immer.

Ein Beispiel, an dem ich alter Historiker mir die Sache besonders gut merke:

BomberIm zweiten Weltkrieg haben die Alliierten Wege gesucht, um die extrem hohen Verlustraten der eigenen Bomberflotten zu verkleinern. Dazu haben sie die wenigen überlebenden Bomber analysiert und schnell festgestellt, dass vor allem an den Flügeln, rund um den Heckschützen und entlang des Rumpfes die meisten Einschusslöcher waren. Die scheinbar logische Maßnahme der Bomberkonstrukteure war in Folge, an genau diesen Stellen besonders dicke und schwere Panzerung anzubringen.

Das war aber ein Fehler. Denn die Einschusslöcher zeigten nicht die Schwachstellen der Bomber, sondern wenig intuitiv deren Stärken. Denn immerhin waren dies bloß Löcher und der Bomber hat es trotzdem noch zurück nach Hause geschafft. Treffer an anderen Stellen haben sich viel fataler ausgewirkt, denn die haben die Bomber abstürzen lassen.

Ein typischer Fall von Survivorship Bias, bei dem man sich nur auf die Überlebenden konzentriert hat und in Folge die falschen Schlüsse gezogen hat.

ZuckerbergEin anderes Beispiel, das aktuell besonders in der Technologie-Branche spannend ist und viel zu wenig Beachtung findet: Überall liest man die Tage von wahnsinnig erfolgreichen Internet Start-Ups, von Studenten oder sonstigen Genies, die es quasi über Nacht zu Millionären gebracht haben, die nach wenigen Monaten Arbeit für viel Geld von Google aufgekauft wurden, die sich mit 25 zur Ruhe setzen können.

Und ja, solche Menschen gibt es sogar tatsächlich. Was aber in diesem Zusammenhang gerne vergessen wird, das sind die anderen. Nämlich die, die es trotz guter Idee und jahrelanger harter Arbeit nicht geschafft haben und die jetzt ausgebrannt und bankrott vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Und die wenigen, die es mit ihren Start-Ups wirklich schaffen, sind nur ein Bruchteil derjenigen, die mehr oder weniger tragisch untergehen. Nur hört und liest man halt üblicherweise nur von den erfolgreichen Überlebenden, und die sich aufdrängende Schlussfolgerung „Startup equals Success equals Money“ ist ein typischer Fall von Survivorship Bias.

VwKaeferEin letztes Beispiel: Mit verklärtem Blick erinnert sich so manches ältere Semester an die gute alte Zeit, vor allem an die Autos. Ach, die Autos, das war damals noch richtige gute Qualitätsarbeit, nicht Schrott wie heutzutage, der schon nach wenigen Jahren den Geist aufgibt. Man muss ja schließlich nur einen Blick auf den VW Käfer werfen – vor 70 Jahren entworfen, vor 50 oder 60 Jahren gebaut, und schnurrt noch immer wie ein Kätzchen.

Solche Qualität gab es halt nur früher. Stimmt, der VW Käfer ist ein Erfolg, an den kaum jemand heran kommt. Vor allem nicht die Hunderten anderen Automodelle und -entwürfe aus der selben Zeit, nach denen heute kein Hahn mehr kräht. Aus dem Käfer also auf eine im Vergleich zu heute überlegene deutsche Nachkriegs-Ingenieurskunst zu schließen ist … genau, Survivorship Bias.

Genug der einprägsamen Geschichtchen. Im ersten Absatz habe ich geschrieben, dass das Wissen um den Survivorship Bias auch im alltäglichen Gebrauch nützlich ist. Klar, einerseits irgendwie schon auch dafür, so manche Sache anders und besser zu bewerten. Viel mehr aber, um Diskussionen zu gewinnen.

Denn mit etwas Mühe und Kreativität findet man fast überall so etwas wie Survivorship Bias. Und es ist unheimlich effektiv, eine Diskussion abzuwürgen, indem man in den Raum wirft: „Hmm, ich glaube, du hast in deiner Schlussfolgerung eines nicht berücksichtigt. Bist du dir ganz sicher, dass du nicht im Einfluss von etwas Survivorship Bias stehst?“

Das hat dann nämlich eine von zwei Auswirkungen zur Folge:

  1. Der oder die Gegenüber hat keine Ahnung, wovon man spricht und man kann umgehend den eigenen haushoch überlegenen Intellekt unter Beweis stellen, indem man Survivorship Bias erklärt und unterhaltsame Anekdoten aus dem Zweitem Weltkrieg zum besten gibt.
  2. Der oder die Gegenüber muss innehalten und die eigene Argumentationskette neu aufrollen und durchleuchten. Selbst wenn er oder sie keinen entsprechende Voreingenommenheit entdecken kann – der Zweifel bleibt und die Argumentation ist in jedem Fall geschwächt.

In beiden Fällen geht man schnell als Sieger aus der Diskussion. Schlussfolgerung: Ein Hinweis auf Survivorship Bias ist fast genau so effektiv wie einer auf Godwins Law. Unfehlbar. Oder, hm hmm hmmm, ist das jetzt schon wieder Survivorship Bias?