Projekttagebuch: Künstlerin

Irgendwie ist nun endgültig Alltag in unseren Projektstunden eingekehrt. Jeden Tag die selbe, eintönige Routine. Programmierer Pendlmayr bearbeitet Briefe mit Vaterschaftsklagen, Dokumentenbeauftragte (in Insiderkreisen auch gerne Sekretärin genannt) Kern liest die Vogue und lackiert ihre Zehennägel, Alkoholiker Schweighofer schläft seinen Rausch aus und nuckelt nur selten an der Flasche Lambrousco neben ihm. Von der Projektleiterin Wolf möchte ich gar nicht reden; die ist noch in Den Haag, wo sie nach wie vor am Internationalen Gerichtshof in knapp fünfzehnhundert Fällen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist. Objektiv betrachtet bin ich wohl der einzige, der in unserem Projekt noch das tut, was er soll. Denn sogar die Designerin (wenn dies der korrekte offizielle Titel ist, niemand hat je so etwas Abstraktes wie Titel oder Aufgaben verteilt) Pichler ist nun endgültig übergeschnappt.

Ihre etwas künstlerisch angehauchte Lebensader hat man ja schon früher erkannt, aber in der letzten Woche ist es vollkommen eskaliert. Sie taucht zu den Projektstunden generell nur mehr in vollkommen angeklecksten Malerklamotten auf. Auch hat sie sich einen stark französischen Akzent zugelegt und spricht uns alle nur mehr mit „Mon Cher“ an, während sie sich lässig mit der Hand Luft zuwedelt und immer wieder herablassend seufzt. Jeder freie Fleck unseres Projektlabors ist bemalt, in allen möglichen Stilen: Die linke Wand ist vollkommen mit Graffiti bedeckt, die gegenüber mit grellsten Neosurrealismus. Die Seite mit den Fenstern bietet Männchen im besten Carl Barks Comic Stil und die Decke ist über Nacht zur Kopie der Sixtinischen Kapelle geworden. Die vierte Wand bietet gräuliche Stilleben mit Äpfeln und Trauben, wie man sie wohl nur in der ersten Woche Kunstakademie malen muss.
Aber als ob das nicht genug wäre, hat sie auch unser sämtliches technisches Equipment bekleckst und bemalt. Es hat mich sehr viel Überzeugungskraft gekostet, dass ich auf meinem Monitor ein zwei mal drei Zentimeter großes, farbenfreies Fenster behalten durfte. Und als wir heute morgen das Projektlabor betraten, überraschten wir Pichler, wie sie eben Blut und Gedärme aus vier eigenhändig getöteten Stieren (die noch immer in der Ecke Kreuzung Stilleben/Graffiti liegen) in kleinen bunten Kübeln sammelte um es auf eine große weiße Leinwand zu spritzen …

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